Es ist ein Phänomen: Seit einem Jahr befindet sich mein Arbeitsplatz in einem Schaufenster unweit der Elbphilharmonie in der HafenCity und mein Arbeitsleben ist komplett anders als ich je gedacht habe. Ich hatte zwar ein wenig Erfahrung im öffentlichen Malen durch gelegentliche Nutzungen von Temporärflächen, der überwiegende Teil meines Berufslebens fand aber – wie bei den meisten Künstlern – in den eher einsamen vier Wänden meines ehemaligen Ateliers in der Speicherstadt statt. Nur gelegentlich, oder durch eine extra Einladung, verirrten sich Besucher auf den vierten Boden, das Verkaufen gestaltete sich schwierig und hart, da ich ohne Galeristen oder Agenten arbeitete. Ich fühlte mich der Welt entrückt und sah manchmal tagelang keine Menschen – konzentrierte Arbeit aber auch sehr einsam. Heute ist es das genaue Gegenteil: Wenn ich Sonntags an meinem Arbeitsplatz sitze bin ich das genaue Gegenteil von einsam und um es einmal in Zahlen zu fassen – für die Statistiker: Mich sehen zur Rush-Hour, dann wenn alle spazieren gehen, rund 30 Besucher, also Menschen die auf ihrem Weg innehalten, einen Blick auf meine Bilder werfen, mir einen kurzen Moment, oder auch für etwas länger, zusehen, diskutieren und dann weitergehen. Diese 30 Besucher kommen nicht am Tag, nicht in der Stunde, sondern pro Minute. Klingt unglaublich, aber ich habe mir mal den Spaß gemacht heimlich zu zählen.
An einem guten Sonntag sehen so mich und meine Bilder locker über tausend Menschen aller Schichten. In der Woche sind die Zahlen nicht ganz so großartig aber immer noch hoch. Was mich besonders freut: Meine Kunst scheint alle einzufangen. Eine Situation ist exemplarisch dafür. Irgendein Abend in der Woche, das Atelier ist schon dunkel bis auf die Nachtbeleuchtung, im Schaufenster ist ein angefangenes Bild vom Hamburger Hafen zu sehen, im Hintergrund ein ebenfalls angefangenes Elbphilharmoniepanorama. Durch das Schaufenster hört man eine angeregte Diskussion einer größeren Gruppe Menschen und ich versuche unauffällig herauszufinden wer denn da wohl so interessiert an den Bildern ist, das er sich gleich ein paar Minuten an mein Schaufenster verirrt. Durch das Fenster leuchtet orangene Arbeitskleidung, eine größere Gruppe Arbeiter von der Elbphilharmonie auf dem Heimweg hat bei mir Halt gemacht und sich in meine Bilder vertieft. Ein größeres Kompliment kann ich nicht bekommen. Klar freue ich mich wenn ich Anerkennung durch Kritiker, Kollegen und Galeristen bekomme, doch Situationen wie diese, wo Menschen die den ganzen Tag gearbeitet haben trotzdem noch einmal innehalten und sich von meiner Kunst einfangen lassen – das ist der wahre Ritterschlag für eine Künstlerin.
Natürlich habe ich mir bei den Bauarbeitern auch Respekt erworben, die sehen, dass ich alles selbst mache, vom Zusammenbau der Keilrahmen bis hin zum Bilder tragen und nicht selten hält einer inne und zeigt mir den erhobenen Daumen. Dieses Jahr hat mich selbstbewusst gemacht und nicht zuletzt auch erfolgreich, denn natürlich schlägt sich diese hohe Frequenz auch in Verkäufen nieder, nicht selten ist das Bild an dem ich im Schaufenster arbeite schon verkauft bevor es trocken ist. Die Menschen finden es gut, das sie sehen können wie ein Gemälde entsteht, keine Tricks und doppelter Boden, transparent bis hin zur Dauer wie lange ich an einem Bild arbeite. So etwas haben die meisten Menschen noch nicht gesehen und es berührt sie – und letztlich auch mich. Denn das Jahr hat mich auch künstlerisch und technisch wachsen lassen, ich traue mir mehr zu und ich kann auch mehr. Ich freue mich auf die Zukunft und natürlich auch auf die Eröffnung der Elbphilharmonie zu meinem zweiten Jubiläum, die Besucherzahlen die mich dann erwarten sprengen aber schon jetzt meine Phantasie.