Eine kleine Geschichte am Rande, die ich jetzt schon zum zweiten Mal erlebe: Im Kulturbetrieb gibt es Menschen, die bar jeden Hintergrundwissens und mit nahezu unbegrenztem Selbstvertrauen in ihrer Meinung nach unterentwickelte Gebiete einfallen – und dort ordentlich Wellen schlagen und die dortigen unterentwickelten „Eingeborenen“ mit Kultur beglücken wollen. Nicht, weil sie wirklich an dem jeweiligen Ort interessiert sind, sondern weil sie eine Bühne für ihre Selbstdarstellu
ng suchen. Meist sind diese Menschen an ihrer eigentlichen Wirkungsstätte bereits gescheitert, möglicherweise weil sie dort schon ebenso autistisch agiert haben wie an dem nun neu erkorenen Zielort. Das erste Mal habe ich das in der HafenCity erlebt: Alle Nase lang kam irgend um die Ecke und wollte dem Stadtteil mit seit Jahrzehnten größter medialer Aufmerksamkeit und im Epizentrum nahezu aller Hamburger Kultureinrichtungen, mit Galerien, Museen, Subkultur und was weiß ich nicht, endlich die Fackel der Kultur überreichen, Licht in das Dunkel der vernachlässigten Einwohner des Stadtteils bringen. Hätte derjenige ähnliches in Mümmelmannsberg, Steilshoop oder irgendwo anders an der Stadtgrenze außerhalb jeglicher medialen Aufmerksamkeit probiert? Wohl eher nicht, denn das Interesse des jeweiligen Heilsbringers war ja nicht ein unterversorgter Stadtteil, sondern sein eigenes unterversorgtes Ego.
Jetzt erlebe ich ein ähnliches Szenario hier in der vermeintlich abgelegenen Provinz: Eine von der Hamburger Kulturschickeria ausgestoßene Dame entdeckt, die unterwickelte Küste rund um Kappeln als mögliches Opfer, um doch noch irgendwie Bedeutung zu erlangen, hier muss doch Kultur fehlen! Was sie dabei mal schlicht übersieht ist, das, wenn es denn so etwas gibt, der Kulturschaffendenanteil an den Einwohnern hier höher liegen könnte als in Hamburg – was man allerdings nur bemerkt, wenn man sich tatsächlich mit dem Ort beschäftigt und nicht nur mit seinem Ego. Ein Beispiel ist Schwensholz, der Ort in dem ich jetzt lebe. Allein an meinem Ende der Straße – bestehend aus sechs Häusern sind zwei davon Künstlerhäuser, im nächsten Ort sieht es ähnlich aus, hier gibt es Künstlerkolonien, Solokünstler, Kuratoren, Dozenten, Bildhauerhöfe, Schlösser mit Kunstsammlungen, Akademien – nicht alles der Öffentlichkeit zugänglich, weil viele Künstler sich hierher zurückgezogen haben, um sich in Ruhe ihrer Kunst zu widmen – so wie ich. Bitte mich nicht missverstehen, jeder so, wie er es mag, es hat ja immerhin einen gewissen Unterhaltungswert diese Selbstdarstellungskünstler zu beobachten, wie sie dank ihrer alten Beziehungen es zwar ins Hamburger Abendblatt mit ein, zwei Artikeln schaffen, in der Lokalpresse aber allenfalls Aufmerksamkeit erregen, wenn sie es geschafft haben eine lokale Adelsfamilie zur Öffnung ihres ansonsten nicht zugänglichen Schlosses zu bewegen. Dann kommen natürlich Besucher, aber nicht um die dort ausgestellte Kunstsammlung der Dame zu begutachten, sondern um mal einen Blick in das sonst unzugängliche Schloss zu werfen.