Eine ungewöhnliche Geschichte einer Malerin, die auf dem Höhepunkt ihres lokalen Erfolges von der Hamburger HafenCity aufs Land zog und der jetzt eine große Einzelausstellung in Kuwait gewidmet wird.

Es ist schwer, in diesen schrecklichen Zeiten positive Nachrichten zu verbreiten, aber die Geschichte von Lilia Nour war schon in der HafenCity ungewöhnlich und setzt sich jetzt ebenso ungewöhnlich fort. Als sie vor zwei Jahren von der Hamburger Innenstadt an die Ostsee zog, bereits in der Erwartung, dass die Corona-Krise länger dauern würde, als alle damals dachten, hatte sie nicht nur einen sicheren Hafen im Auge, sondern auch einen Plan, um den schon immer ihre Gedanken kreisten. Besucher in ihrem Atelier in der HafenCity fragten immer „Können wir ihre Bilder mal in einer Ausstellung sehen?“ und ihre Antwort war immer „Hey, vielleicht, aber mit welchen Bildern?“.

Aufgrund der Zeit, die sie für eines ihrer Bilder benötigt, hat sie die letzten Jahre auch nach ihrem Umzug aufs Land hauptsächlich an Aufträgen gearbeitet. Aber seit fast einem Jahr konzentriert sie sich auf ihr nächstes „großes Ding“, eine Ausstellung. Ursprünglich lagen ihre Planungen eher im lokalen Umfeld und mit einer überschaubaren Anzahl an Bildern, dann kam passend zur Idee die Gelegenheit. Schon immer zählten auch Menschen aus aller Welt zu ihren Fans und einer dieser Fans hatte zwei Bilder einem Museum vermacht, dem CAP Kuwait – und dort stießen sie auch große Gegenliebe beim Publikum und pünktlich zum Plan trudelte eine Anfrage zu einer großen Einzelausstellung auf ihren Schreibtisch. Rund 5000 Kilometer entfernt, im fernen Kuwait, sollen ihre meist großformatigen Bilder blühende Impressionen in die Wüste bringen. Nächste Woche werden sich 18 großformatige Bilder aus ihrem Atelier an der Schlei auf den Weg ins ferne Kuwait machen, um dort ab dem 15.November für einen Monat unter der Schirmherrschaft von Mercedes Benz/Maybach präsentiert zu werden. Schon das „Ausdocken“ ihrer Bilder aus dem Atelier ist ein Ereignis, aufgrund der Größe passen viele ihrer Werke nicht durch die Tür und ein extra dafür vorbereitetes Segment im Obergeschoss ihrer alten Kunstscheune muss dafür zeitweise entfernt werden. Von dort gehen diese dann zunächst auf dem Landweg nach Amsterdam und dann per Luftfracht nach Kuwait.

Lilia Nour befindet sich jetzt in einer fast paradoxen Situation. Der Wechsel aufs Land – und viele Leute zweifelten ihre Entscheidung an – ermöglicht ihr, internationaler zu arbeiten. Es ist ein bisschen wie das mittlerweile berühmte Homeoffice. Ihr Mann Michael sagt immer, wenn man in einem internationalen Team arbeitet, ist es egal, wo man sich befindet. Jetzt arbeiten beide vom sehr nördlichen Teil Deutschlands aus international, er mit Leuten aus der ganzen Welt, sie für den Nahen Osten.

 

LILIA NOUR

Zu ihren Fans zählen inzwischen Menschen aus aller Welt, ihre Bilder hängen weltweit nicht in Galerien, sondern in den Wohnungen und Häusern von Liebhabern des Schönen. Wer einmal eines ihre großformatigen Bilder besitzt gibt es meist nicht mehr her. Bei Anfragen von Galerien gibt es meist eine höfliche und zum Teil auch ein wenig verzweifelte Absage. Ihre Warteliste ist lang und wächst, Bilder, die in ihrer Werkstattgalerie entstehen, werden häufig noch während des Entstehens verkauft.

Wie bei nahezu jedem Künstler war der Weg zum Erfolg steinig. Die gebürtige Tatarin aus Kazan wurde zwar schon klein auf gefördert, ihr Vater – ebenfalls Künstler – verstarb aber schon früh und trotzdem bestimmte die Kunst immer ihr Leben. Von der Kunstschule zur Kunstakademie bis hin zur berühmten Stiglitz-Akademie in St.Petersburg, immer versuchte sie ehrgeizig ihre Ziele umzusetzen. Als sie 1999 nach Deutschland kam, glich es einem Neuanfang, keine Netzwerke, keine Galeristen und die Konkurrenz von ehrgeizigen männlichen Kollegen machten es der damals alleinerziehenden Mutter nicht einfach sich durchzuschlagen. Und dennoch schaffte sie es immer mit der Kunst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bei den Galeristen hatte sie wegen ihrer großformatigen Werke immer einen schweren Stand, niemand wollte der damals unbekannten Künstlerin Platz an den Wänden einräumen und so machte sie sich selbst an die Vermarktung, organisierte Veranstaltungen in ihrem Atelier in der Speicherstadt um Menschen mit ihren Werken vertraut zu machen. Schon damals fand sich ein kleiner, eingeschworener Kreis von Fans, deren Wohnungen noch heute die frühen Werke Lilia Nours zieren.

Der große Durchbruch kam dann nicht durch eine Entdeckung durch einen Galeristen oder Kurator, sondern geschah durch einen glücklichen Zufall: Als 2015 eine Ladenwohnung in unmittelbarer Nähe zur Elbphilharmonie frei wurde, sagte sie kurzentschlossen der Speicherstadt Ade, den ungeheizten Böden dort hat ihre Gesundheit Tribut genug gezollt. Endlich wurden ihre Werke für eine breite Öffentlichkeit erlebbar – selbst der französische Präsident Macron nebst Frau besuchten ihr Atelier – und der Erfolg stellte sich unmittelbar ein. Faktisch vom ersten Tag an wurden ihre Bilder verkauft und mit der Eröffnung der Elbphilharmonie wurde es schwierig für sie und ihre Fans. Einige Serien ihrer Bilder wurden so schnell verkauft, dass nur Schnellentschlossene eine Chance auf ein Bild hatten. Trotz der Wartelisten versucht sie sich ihre Spontanität zu bewahren und malt, worauf sie gerade Lust hat. Und so kann es eben doch passieren, dass Passanten zum Zuge kommen – weil sie nicht nach Liste malen will, und weil ein gerade im Werden befindliches Bild sich genau in dem Moment offenbart, an dem der Betrachter sie in ihrem offenen Atelier beobachtet.

Alle ihrer Werklinien zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit großzügigem Farbauftrag gearbeitet werden. Seien es die eher monochromatischen Motive ihrer Fiskultura-Serie, ihre häufig mit Gold gearbeiteten konstruktivistischen Hafenmotive oder ihre üppige florale Zen-Malerei. Nie wird auf die blanke Leinwand gearbeitet, die vielschichtige Grundierung ist integraler Bestandteil aller Werke – und die spätere Wirkung im Raum. Immer achtet sie darauf, dass keine großartige Beleuchtung notwendig ist, um ihre Werke in normalen Wohnungen zur Geltung zu bringen. Häufig findet man unauffällige Einsprengsel von Gold in ihren Bildern, die Farbschichten werden in vielen Ebenen mit einem kleinen Spachtel aufgetragen und erzeugen beim Betrachter immer andere Eindrücke je nach Standpunkt und Lichteinfall. Die aufwendige Arbeitsweise fordert ihren Tribut. Bis zur Fertigstellung eines ihrer Bilder vergehen oft Wochen, eine natürliche Grenze für ihren Jahresoutput.

 

CAP

CAP – die Plattform für zeitgenössische Kunst Kuwait – eine Mischung aus Museum und Galerie, hat genügend Platz für ihre Bilder

Die Contemporary Art Platform (CAP) widmet sich der Entwicklung und Unterstützung der Künste in Kuwait und der gesamten Region und präsentiert Ausstellungen lokaler, internationaler, aufstrebender und etablierter Künstler in Gruppen-, Thema- oder Einzel- Ausstellungen, die von arabischen und internationalen Kuratoren kuratiert werden.

CAP bietet neben den Ausstellungen Führungen für Schulklassen, Workshops, Seminare, wöchentliche Filmvorführungen, Künstlergespräche und Podiumsdiskussionen an. Die Galerie umfasst auch eine öffentliche Bibliothek und besitzt eine der größten Sammlungen von Kunstbüchern in Kuwait.